Interview mit Schulministerin Yvonne Gebauer
Den Ibbenbürener Schülern wünscht sie ein neues Schuljahr mit vielen schönen Begegnungen – zuvor hat sich NRW-Schulministerin Yvonne Gebauer (FDP) mit Redakteur Henning Meyer-Veer unter anderem über die Lage von Eltern im Homeschooling, die Corona-Testergebnisse in Ibbenbüren und die Situation in den Schulbussen unterhalten.
Frau Gebauer, ich habe ein Kind in der 1., eines in der 5. Klasse – haben Sie eine Ahnung, was für ein Schuljahr man da als Elternteil hinter sich hat?
Yvonne Gebauer: Das kann ich mir sehr gut vorstellen. Ich habe als Ministerin viele Rückmeldungen bekommen, auch aus dem Freundes- und Bekanntenkreis. Das Bild war sehr eindrücklich. Den Eltern ist mit der Herausforderung, Homeoffice und Homeschooling unter einen Hut zu bringen, viel abverlangt worden. Das war neben den Bildungschancen für unsere Kinder auch mit einer der Gründe, warum ich mich immer für Präsenzunterricht eingesetzt habe. Er ist die beste Form des Lernens für unsere Kinder. Ich weiß aber auch, was Eltern und Schulen an Organisationsaufwand zu leisten hatten. Die Pandemie hat es uns an vielen Stellen nicht leicht gemacht, deshalb habe ich mich nach Möglichkeit eng mit allen am Schulleben Beteiligten abgestimmt.
Und doch hatte ich als Vater ein durchaus mulmiges Gefühl, als der Präsenzunterricht wieder losging, sowohl im Wechselunterricht als auch jetzt in voller Klassenstärke. Ich habe mich einerseits für sie gefreut, mich andererseits gesorgt, dass meine Kinder sich vielleicht doch noch infizieren. Das ist ein sehr zwiespältiges Gefühl…
Gebauer: Das kann ich gut verstehen. Seit mehr als einem Jahr wägen wir im Schulministerium umsichtig ab, um das Recht auf Bildung bestmöglich mit dem Gesundheitsschutz in Einklang zu bringen – übrigens für alle am Schulleben Beteiligten. Dabei ging es neben der körperlichen Unversehrtheit auch immer um die seelische Gesundheit unserer Kinder. Sie mussten die meisten Entbehrungen hinnehmen, sie haben Halt und Strukturen verloren. Deshalb war es richtig und wichtig, den Präsenzunterricht im vergangenen Jahr so lange wie möglich aufrechtzuerhalten und nun so schnell wie möglich unter Einhaltung der sehr strengen Hygienevorschriften zum Beispiel mit einer weitreichenden Maskenpflicht wieder in den Präsenzunterricht zurückzukehren. Inzwischen sind wir auch schon viel weiter als im Herbst – eine große Zahl unserer Lehrkräfte ist wenigstens das erste Mal geimpft, viele das zweite Mal. Und wir testen regelmäßig. So erkennen wir Infektionen schnell und können Ansteckungen verhindern.
Stichwort Tests: Ich habe mir mal die aktuellen Zahlen für Ibbenbüren für die ersten Tage nach Wiederaufnahme des Präsenzunterrichts in voller Klassenstärke ansehen können. Stand 9. Juni gibt es nur an einer weiterführenden Schule zwei positive Tests, sonst sind alle negativ…
Gebauer: Diese Zahlen aus Ibbenbüren freuen mich natürlich sehr. Sie decken sich mit denen aus den anderen Teilen des Landes. Dieses Bild wird uns seit Aufnahme der Testungen übermittelt.
Die Zahlen aus Ibbenbüren geben den Trend als stimmig wieder?
Gebauer: Ja, die Zahlen bewegen sich sehr zu unser aller Freude auf einem sehr niedrigen Niveau. Landesweit sind an den Grundschulen nur 0,4 Prozent oder lediglich 410 von rund 97000 der sogenannten Pool-Tests positiv. Da die Kinder dieser Pools einzeln nachgetestet werden, ist die tatsächliche Zahl positiv Getesteter sogar deutlich niedriger, noch niedriger als bei den weiterführenden Schulen. Dort sind 0,2 Prozent der Tests positiv. Die Tests schaffen zusätzliche Sicherheit.
Kommen wir zu den Schulbussen. Gerade an den weiterführenden Schulen Ibbenbürens gibt es viele Buskinder. Und immer wieder höre ich Schüler von überfüllten Bussen von und nach Ibbenbüren berichten, Busse, in denen es nicht für alle Kinder Sitzplätze gibt. Da wird es schwierig mit dem Abstand halten, und es fällt leicht, sich Sorgen um seine Kinder zu machen…
Gebauer: Es gibt vom Land ein „1000-Busse-Programm“ im Umfang von mehr als 30 Millionen Euro für zusätzliche Kapazitäten, um in den Orten den Schulbusverkehr zu entzerren. Oftmals fehlen aber nicht die Busse, sondern die Fahrer. Hier müssen gute Rahmenbedingungen für diesen Beruf geschaffen werden, um ihn attraktiv zu machen. Nur sind das politische Maßnahmen, die nicht über Nacht umzusetzen sind. Auch deshalb setze ich mich persönlich so intensiv für die Gleichwertigkeit von akademischer und beruflicher Bildung ein.
Wenn man kleine Kinder im Grundschulalter im Homeschooling hat, besteht die Herausforderung als Eltern ja auch darin, wie man die Inhalte vermittelt. Eine Grundschullehrerin erzählte mir, dass ein großes Problem sei, wie anders als in der Schule Lerninhalte zu Hause bearbeitet wurden – wie soll das wieder eingefangen werden?
Gebauer: Wie für unsere Kinder die Schule der beste Ort zum Lernen ist, so ist sie für unsere Lehrkräfte auch der beste Ort zum Lehren. Hier können sie die Schülerinnen und Schüler gezielt und individuell fördern, dafür sind unsere Lehrkräfte hervorragend ausgebildet. Deshalb sollten wir alles daransetzen, den Präsenzunterricht, also den Unterricht in Schule, wieder dauerhaft zu ermöglichen. Durch Tests, durch Impfungen, durch Hygienemaßnahmen.
Ein Thema, das in nahezu allen Kommunen der Region diskutiert wird, sind die Raumluftfilter – wird das Land da noch mal aktiv? Die Elternwünsche sind da ja deutlich…
Gebauer: Wir haben dazu ein Unterstützungsprogramm für die Kommunen aufgelegt. Die Landesregierung hatte abgefragt, wo solche Filter sinnvoll sind, um das Lüften zu unterstützen. Es lag dann an den Kommunen, die Mittel abzurufen. Viele haben das getan, manche haben sich dagegen entschieden. Vielerorts sind die Klassenräume aber ohnehin gut zu lüften. Von den 50 Millionen Euro sind mehr als 20 Millionen abgerufen worden. Grundsätzlich gilt aber: Luftfilter ersetzen nicht das Lüften, sie unterstützen lediglich. Lüften bleibt das A und O.
Das heißt, die Schüler sollten sich im Herbst auf offene Fenster einstellen?
Gebauer: Das Lüften bleibt weiter eine wichtige Maßnahme für den Infektionsschutz. Neben der Maske und den Impfungen. Wir machen uns derzeit intensiv Gedanken, wie es nach den Sommerferien weitergehen wird. Dazu werden wir selbstverständlich das Infektionsgeschehen weiter genau beobachten. Angesichts weiter sinkender Infektionszahlen bin ich sehr zuversichtlich, dass wir nach den Sommerferien in voller Präsenz in das neue Schuljahr starten. Nordrhein-Westfalen arbeitet mit ganzer Kraft daran, dass das neue Schuljahr mit größtmöglicher Normalität beginnt. Es liegt an jedem und jeder Einzelnen, dies durch verantwortungsvolles Verhalten zu ermöglichen.
Wird die Maskenpflicht im Unterricht fallen?
Gebauer: Zur schulischen Normalität gehört auch, wenn es das Infektionsgeschehen zulässt, dass die Schule wieder ohne Maske besucht werden kann. Wann es so weit ist, steht derzeit noch nicht fest.
In der Schulausschusssitzung der Gemeinde Recke haben Schulleiter über ihre Erfahrungen der vergangenen Monate gesprochen und angeregt, dass nicht nur über die Defizite gesprochen werden dürfe, sondern auch über die zusätzlichen Kompetenzen, die Schüler sich erworben hätten…
Gebauer: Das kann ich nur unterstützen. Vielleicht ist die eine oder andere Formel nicht im gewohnten Maß gelernt worden. Aber man kann gar nicht hoch genug wertschätzen, wie die Schülerinnen und Schüler dieses Schuljahr mit Bravour gemeistert haben. Durch die Pandemie haben sie mitunter andere, dafür ganz besondere Kompetenzen erworben, von denen sie ihr Leben lang zehren können.
Und entsprechend sind die Abschlüsse auch nicht weniger wert.
Gebauer: Weiß Gott nicht. Alle Schüler, die in diesem und auch schon im vergangenen Jahr einen Abschluss gemacht haben, verdienen unsere höchste Wertschätzung. Sie haben eine ganz besondere Leistung in einer ganz besonderen Zeit erbracht. Das hat ihre Abschlüsse auf- und nicht abgewertet. Alle in Ibbenbüren und Umgebung, die in dieser Zeit Abschlussprüfungen abgelegt haben, können sehr, sehr stolz auf ihre Leistung sein.
Ein hiesiger Schulleiter hat sinngemäß gesagt, die Kinder sollten jetzt die Ferien genießen. Das Aufholen der Defizite sei eh eine langfristige Sache…
Gebauer: Das sieht auch die Landesregierung so. Das Aufholen geschieht nicht über Nacht. Wir haben darauf hingewirkt, dass die Mittel nicht nur bis zum Ende dieses Jahres zur Verfügung stehen, sondern darüber hinaus. So stellen wir etwa über unser Aufholprogramm ‚Extra-Zeit zum Lernen‘ 36 Millionen Euro bereit, die bis zum Ende der Sommerferien 2022 abgerufen werden können.
Wenn Sie an März 2020 zurückdenken, gibt es einen Punkt, an dem Sie gerne anders abgebogen wären?
Gebauer: Alle Entscheidungen sind immer im Kontext ihrer jeweiligen Zeit zu sehen. Mit den Erkenntnissen und den Voraussetzungen von heute hätte man wohl manches anders gemacht. Mit Blick auf die heutige digitale Ausstattung der Schulen, dürfen wir nicht noch einmal zulassen, dass die Schulen ohne Unterricht geschlossen bleiben. Wir haben Erfahrungen mit Wechsel- und Distanzunterricht gesammelt. Trotzdem war und bleibt es richtig, solange wie möglich am Präsenzunterricht festzuhalten. Denn die Schulen in Ibbenbüren und überall im Land sind neben Bildungseinrichtungen auch wichtige Orte des sozialen Miteinanders. Der Wechselunterricht war zwischenzeitlich notwendig, ist aber für die Schulen eine große Herausforderung, weil sowohl Schüler vor Ort als auch in Distanz zu unterrichten sind. Für die Lehrer war das eine zusätzliche Aufgabe. Sie hatten kein einfaches Jahr und haben mit großem Engagement und viel Kreativität dazu beigetragen, den staatlichen Bildungsauftrag auch in der Pandemie aufrechtzuerhalten.
Und wie war eigentlich Ihr „Schuljahr“?
Gebauer: Herausfordernd – in vielerlei Hinsicht. Jetzt freue ich mich auf ein paar freie Tage in den Sommerferien. Die Bewältigung und die Folgen der Pandemie werden uns allerdings noch einige Zeit beschäftigen. Und auch jenseits von Corona gilt es, die Bedingungen für beste Bildung in Nordrhein-Westfalen weiter voranzubringen. Ich blicke also tatfreudig in die Zukunft. henning.meyer-veer@ivz-aktuell.de